Es ist eine eigenartige Stimmung. Alles ist anscheinend wie sonst. Die Sonne scheint, das Frühlingskonzert der Vögel ist in vollem Gange. Ich sitze am Schreibtisch und versuche, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren.
Alles ist anscheinend wie sonst, und doch ist nichts wie sonst. Es liegt etwas in der Luft. Man sieht es nicht, man hört es nicht, man riecht es nicht. Und doch ist es da.
Die Menschen reagieren eigenartig. Einige geraten beinahe in Panik und verbreiten um sich eine regelrechte Weltuntergangsstimmung. Aus einigen Ecken hört man seltsame Verschwörungstheorien. Andere sind betont lässig und tun so, als wäre gar nichts.
Die Kinder trifft es besonders hart. Sie dürfen trotz des schönen Sonnenwetters nicht auf die Spielplätze.
Ich sitze an meinem Schreibtisch und überlege, ob ich doch noch einkaufen gehen soll nachher. Ein frischer Salat zum Mittagessen, das wäre schön. Ich liebe Kopfsalat, und jetzt ist die Saison dafür.
Kopfsalat! Ach, Sie dachten, ich spreche von der Corona-Krise? Nein. Das waren meine Erinnerungen an das Jahr 1986, nach dem Unfall in Tschernobyl. Salat war das erste, was uns verboten wurde damals, wegen des Cäsium-Gehalts.
Im Moment erinnert mich vieles daran. Nach außen hin scheint alles normal. Man sieht es nicht, man hört es nicht, man riecht es nicht, und doch ist da was. Viele Menschen reagieren genauso extrem wie damals: Einige verfallen in Panik, andere tun so, als wäre gar nichts.
Es ist eine Ausnahmesituation, so wie damals bei Tschernobyl.
Die Politiker diskutieren, wie und wann man die Beschränkungen aufheben sollte.
Wann dürfen die Kinder wieder auf die Spielplätze? Wann darf man wieder frei einkaufen? Jetzt haben wir die Krise doch hoffentlich überwunden?
Die Wissenschaftler warnen: Es ist noch viel zu früh. Das alles wird uns noch lange beschäftigen, und wir dürfen nicht leichtsinnig werden.
Ach, Sie dachten, ich spreche von der Corona-Krise? Nein. Auch damals war es so: Die Wissenschaftler mussten uns immer wieder daran erinnern, dass Radioaktivität nicht in wenigen Wochen verschwindet. Manche Stoffe brauchen Jahre, manche Jahrtausende.
So lange wird dieses Virus hoffentlich nicht leben. Aber es wird uns noch eine ganze Weile beschäftigen und unser Leben für eine ganze Weile prägen.
In dieser Ausnahmesituation ist für viele Menschen ein Wort aus dem 2. Timotheusbrief zum Leitmotiv geworden:
Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Kraft – gegen die Angst, die diese Situation hervorrufen kann.
Liebe – für die Mitmenschen, die jetzt unsere Hilfe brauchen.
Besonnenheit – nicht in Panik zu verfallen, aber auch nicht leichtfertig zu werden.
Das wünsche ich Ihnen in dieser Zeit: Gottes Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.
Viola Chrzanowski, Pastorin